Sehr gute Leistungsqualität kann ein Übersetzer oder Dolmetscher nur erreichen, wenn er auch ein Experte in dem entsprechenden Fachgebiet ist – davon bin ich überzeugt. Das bedeutet: Ein Sprachdienstleister muss sich zwangsläufig spezialisieren und sich damit in seiner Arbeit auf einzelne Fachgebiete beschränken und sich in diese vertiefend einarbeiten, um eine richtige Koryphäe darin zu werden.
Aber wie kommt man zu einer Spezialisierung?
Meiner Meinung nach gibt es drei grundsätzliche Wege, auf Spezialisierungsbereiche zu kommen:
- Automatische Spezialisierung: Sie betrifft insbesondere Quereinsteiger im Übersetzer-/Dolmetscherberuf und baut auf ihrer bisherigen Ausbildung, Studium bzw. Berufserfahrungen auf. Zum Beispiel bietet es sich für eine Diplom-Wirtschaftspädagogin wie mich mit Sozial- und Wirtschaftspsychologie als Nebenfach, die auch noch über 10 Jahre in einem Wirtschaftsforschungsinstitut gearbeitet hat, an, sich bei Übersetzungen auf Wirtschaft, Pädagogik und Psychologie zu spezialisieren.
- Bewusste Spezialisierung kann interessengeleitet und/oder rational bzw. auf der Grundlage von Marktrecherchen und Analyse der Nachfrage gewählt werden. Optimalerweise fallen die beiden Strategien zusammen und der Fachbereich, der meiner Ansicht nach profitabel ist, auch noch zu meinen bisherigen Interessen gehört. Beispielsweise kann jemand, der seit Jahren skatet oder reitet bzw. sich mit Hundeerziehung beschäftigt, diesen Themenbereich wählen. Wenn man aber schon mal mit viel Hingabe die Planung und den Bau der eigenen vier Wände in Form eines Passivhauses verfolgt und mitgestaltet hat, bietet sich eine Vertiefung in Richtung ökologisches Bauen an.
- Spontane Spezialisierung entsteht, wenn mich die Kunden sozusagen in eine bestimmte Richtung “getrieben” haben. Beispielsweise hat es sich ergeben, dass meine besten Freunde mich immer wieder um die Übersetzung von ihrer Werbeunterlagen oder Internetseiten oder Beschreibungen für Kunstprojekte und Ausstellungen gebeten haben. Oder ein Stammkunde, für den ich üblicherweise Wirtschaftstexte übersetze, bietet mich plötzlich um Übersetzung von Präsentationen seiner neuen Produkte aus dem Bereich der Bautechnik. Wenn ich den Kunden behalten möchte oder den Freunden gerne den Gefallen tun möchte, muss ich mich zwar einarbeiten und mich wahrscheinlich häufiger mit dem Auftraggeber absprechen, aber nach und nach “rutsche” ich rein.
Und warum sollte man sich als Übersetzer oder Dolmetscher spezialisieren?
Abgesehen von der selbstverständlichen Tatsache, dass man dann besser und schneller übersetzt bzw. beim Dolmetschen deutlich weniger Energie bei einem besseren Ergebnis verbraucht, gibt es auch äußere Faktoren, die eine Spezialisierung sinnvoll machen:
- Man verbessert das eigene Image und tritt professioneller auf. Im Gegensatz dazu zeugt eine viel zu lange, unbegründete Liste der Fachgebiete eher von oberflächlichem Wissen.
- Man hebt sich in Vergleich zu “Alleskönnern” der Übersetzerbranche (positiv) hervor.
- Man tritt nicht mehr “nur als Sprachkundige/r” sondern auch als ein Experte bzw. ein Fachmann/eine Fachfrau auf und kann mit dem Kunden auf gleicher Augenhöhe verhandeln und kommunizieren. Denn der Kunde vertraut meiner Erfahrung nach eher jemandem, der nicht nur eine Fremdsprache beherrscht sondern mit ihm auch noch über sein Tätigkeitsfeld interessiert und sachkundig sprechen kann.
- Dank des Expertenwissens und -status kann der Übersetzer/Dolmetscher auch höhere Honorare erzielen und rechtfertigen.
Welche Fachbereiche sind am Übersetzungsmarkt auch noch gefragt?
Um das herauszufinden, sollte man die Suche eingrenzen. Denn je nachdem, welche Sprachrichtungen man anbietet und in welchen grundsätzlichen Bereichen (z. B. Urkundenübersetzungen, Fachübersetzungen) man arbeitet, unterscheiden sich auch die Marktsegmente, die für einen relevant sind. Wenn ich mich beispielsweise mit der Übersetzung von Wirtschaftstexten und Urkunden beschäftige, bringt es mir nichts, eine ausführliche Recherche im medizinischen oder medizintechnischen Bereich durchzuführen. Wie gehe ich also optimalerweise vor, um die für mich möglichen und lukrativen Bereiche zu finden? Mein Vorschlag an dieser Stelle wäre:
- Online-Recherche nach Informationen der Übersetzer- und Dolmetscherverbänden, die eventuell Untersuchungen durchführten und Ergebnisse publizierten. Zum Beispiel bietet die BDÜ-Vergütungsumfrage für angestellte Dolmetscher/Übersetzer einen guten Ansatzpunkt für die Suche nach lukrativen Fachgebieten: Auch wenn nur ca. ein Drittel der Übersetzer angestellt ist, zeigen beispielsweise die Branchen mit dem höchsten Jahresgehalt die Bereitschaft der Kunden, für Übersetzungen tiefer in die Tasche zu greifen.
- Netzwerken und aktive Weiterbildung im Rahmen der eigenen Fachgebiete (Teilnahme an Konferenzen, Seminaren, Lektüre von Fachmagazinen, Austausch mit Experten usw.). Das Ziel hier wäre, den Trends der Branche auf die Spur zu kommen und ein Gefühl dafür zu bekommen, inwieweit es sich lohnt, die eigenen Übersetzungs- und Dolmetschdienste in diesem Kontext anzubieten.
- Analyse der Informationen auf den Übersetzerplattformen wie ProZ: Hier könnte man die Ausschreibungen von Übersetzungsaufträgen über ein paar Monate beobachten und die ausgeschriebenen Aufträge nach Branchen sortieren. Allerdings bilden solche Plattformen natürlich nur einen Teil der Realität auf dem Übersetzungsmarkt ab, und die Ergebnisse sind damit nicht repräsentativ.