Hilfe, Kunde fragt, was die Übersetzung kosten wird! Methoden der Preisberechnung für Übersetzungen

Dieser Artikel ist eine rein pragmatische Darstellung der mir bekannten Methoden zur Preisberechnung im Kontext von Übersetzungsdienstleistungen. Am Anfang der freiberuflichen Tätigkeit – unerfahren und unegübt – macht man schon mal Fehler und nennt unbegründet zu niedrige oder zu hohe Preise, wenn der Kunde anruft und sofort den Preis einer noch nicht vorliegenden Datei wissen will. Der Klassiker 😉 Als angehende*r Übersetzer*in sollte man gewappnet sein. Ich hoffe, dass meine Anleitung, die hier auch als pdf-Dokument herunterladbar ist, Euch hilft, die typischen Anfängerfehler zu vermeiden und souverän aufzutreten.

Methoden der Preisberechnung für Übersetzungen

Vorbemerkungen

Erstens sollte man, bevor man sich mit konkreten Berechnungen beschäftigt, normalerweise in Absprache mit dem Kunden bestimmen, ob der Ausgangstext oder der Zieltext als Grundlage für die Ermittlung des Textumfanges genommen wird. Aus nachvollziehbaren Gründen ist die Preisermittlung nach dem Ausgangstext meiner Erfahrung nach verbreiteter. Denn auf diese Weise kann dem Kunden ein verlässlicher Preis vor Beginn des Auftrages genannt werden.

Zweitens sollte jeder Übersetzer für sich einen Mindestauftragswert festlegen, der bei einmaligen, sehr kleinen Auftragsvolumina anfällt. Diesen nennt man dann immer, wenn der tatsächliche Auftragswert unter dieser Grenz liegen würde. Selbstverständlich ist jedem freigestellt, davon abzuweichen, z. B. bei Stammkunden. Für diese würde ich u. U. ganz kleine Aufträge auch kostenlos machen bzw. bei einer großen Anzahl wiederkehrender Kleinstaufträge diese in einer Sammelrechnung summarisch abrechnen.

Drittens kann ein genauer Preis für einen Text erst nach der Durchsicht des gesamten Ausgangsdokuments sowie Prüfung seiner inhaltlichen und technischen Ausgestaltung und Bearbeitbarkeit ermittelt werden.

Und viertens muss sich der Endpreis für einen Auftrag, den der Übersetzer dem Kunden nennt, nicht auf den Preis der reinen Übersetzung des darin enthaltenen Textes beschränken. Er kann durch weitere Faktoren nach oben oder nach unten beeinflusst werden: z. B. ein vorliegendes Translation Memory, zusätzliche Leistungen wie Satz oder Bearbeitung von Bildern, Dringlichkeit, Erstellung einer Terminologiedatenbank usw..

Und nun zu den üblichen Methoden der Ermittlung von Preisen für Übersetzung von Texten:

Methode 1: Abrechnung nach Wörtern

Voraussetzungen                                       

Der Ausgangstext liegt in einem elektronisch lesbaren Format vor (z. B. docx, xlsx usw.). 

Formel                                                     

Anzahl der Wörter im zu übersetzenden Abschnitt/Dokument mal Wortpreis gleich Honorar für die Übersetzung:

Wortzahl x Wortpreis = Honorar                       

Berechnungsweg

  1. Anzahl der Wörter im zu übersetzenden Abschnitt/Dokument ermitteln, z. B. mithilfe der Zählfunktion in Word, im CAT-Tool, in spezieller Zählsoftware (z. B. anycount),
  2. Wortpreis für diese Art von Übersetzung bestimmen (z. B. in Abhängigkeit von Sprachenpaar/Übersetzungsrichtung, Schwierigkeitsgrad, Fachgebiet),
  3. Anzahl der Wörter mit dem Wortpreis multiplizieren.

Beispiel

Der Text unter „Vorbemerkungen“ ist laut MS Word 211 Wörter lang. Wenn wir einen Wortpreis von 20 Cent annehmen, dann bekommen wir 211 * 0,2 = 42,20 Euro netto.

Methode 2: Abrechnung nach Normzeilen

Voraussetzungen                                       

Der Ausgangstext liegt in einem elektronisch lesbaren Format vor (z. B. docx, xlsx usw.). 

Formel                                                     

Anzahl der Normzeilen im zu übersetzenden Abschnitt/Dokument mal Normzeilenpreis gleich Honorar für die Übersetzung:

NZ-Zahl x NZ-Preis = Honorar                         

Berechnungsweg

  1. Anzahl der Zeichen inkl. Leerzeichen im zu übersetzenden Abschnitt/Dokument ermitteln, z. B. mithilfe der Zählfunktion in Word, im CAT-Tool, in spezieller Zählsoftware (z. B. anycount)
  2. Länge der eigenen Normzeile bestimmen (entfällt, wenn bereits früher erledigt). Üblich sind NZ-Längen von 50, 55 oder 60 Zeichen (Leerzeichen miteingerechnet).
  3. Anzahl der Zeichen inkl. Leerzeichen durch die eigene Normzeilenlänge teilen. Das Ergebnis ist die Anzahl der Normzeilen
  4. Preis pro NZ für diese Art von Übersetzung bestimmen (z. B. in Abhängigkeit vom Sprachenpaar/Übersetzungsrichtung, Schwierigkeitsgrad, Fachgebiet)
  5. Anzahl der NZ mit dem Preis pro NZ multiplizieren

Beispiel

Der Text unter „Vorbemerkungen“ beinhaltet laut MS Word 1583 Zeichen inkl. Leerzeichen. Wir nehmen an, dass wir mit Normzeilen von 55 Zeichen und einem Zeilenpreis von 1,75 Euro (beides wie im JVEG) arbeiten. Wir rechnen also:

1) 1583 / 55 = 28,78 = 29 Normzeilen

2) 29 * 1,75 = 50,75 Euro netto

Ein typisches Beispiel für die Preisermittlung nach Normzeilen ist die Abrechnung nach dem JVEG.

Anmerkung: Umrechnung des Normzeilenpreises in einen Wortpreis

Immer wieder wird in Übersetzergruppen gefragt, wie man den eigenen Wortpreis in den Normzeilenpreis umrechnet (oder umgekehrt), da der Kunde ausschließlich nach der anderen Methode abrechnen möchte.

Zur Umrechnung nimmt man sich einen Text, der die üblichen Merkmale von Texten aufweist, die vom Übersetzer am häufigsten bearbeitet werden und deswegen aussagekräftig in Bezug auf Textstruktur, Schwierigkeitsgrad, Stil usw. ist. 2-3 Seiten. (1) Man berechnet nach den Preis nach dem Wortpreis. (2) Dann ermittelt man die Anzahl der Normzeilen (mit der vom Kunden gewünschten Länge) in demselben Text und (3) teilt den in Schritt (1) ermittelten Preis nur die Anzahl der Normzeilen aus (2). Und – voilà! – schon haben wir den Wortpreis in den NZ-Preis mit der gegebenen NZ-Länge umgerechnet.

Für die Übersetzer*innen, die keine Angst vor einfacher Mathematik haben, lässt sich der Weg zusammenfassen so abbilden:

Wenn Wortzahl x Wortpreis = Honorar und NZ-Zahl x NZ-Preis = Honorar, dann Wortpreis = Honorar/Wortzahl

und folglich Wortpreis = NZ-Zahl x NZ-Preis / Wortzahl 😉

Beispiel

Bei der Berechnung nach Methode 1 kamen wir auf nur 42,20 Euro als Preis für die Übersetzung des Textes, für den wir nach Methode 2 50,75 Euro (also über 8 Euro mehr) bekommen würden. Um unseren Wortpreis an das JVEG-Niveau anzugleichen, was ja durchaus ein legitimer Wunsch sein kann, würden wir folgendermaßen vorgehen: PW = 50,75/211 = 24 Cent/Wort …

Methode 3: Abrechnung nach Normseiten

Voraussetzungen   

Der Ausgangstext liegt in einem elektronisch lesbaren Format vor (z. B. docx, xlsx usw.).   

Formel        

Anzahl der Normseiten im zu übersetzenden Abschnitt/Dokument mal Normseitenpreis gleich Honorar für die Übersetzung:

Normseitenzahl x Normseitenpreis = Honorar    

Berechnungsweg

Anmerkung: die Anzahl der Normseiten wird i. d. R. nicht rechnerisch ermittelt, sondern mittels der Formatierung (vgl. hierzu die Ausführungen des VdÜ im Beitrag „Was ist und wozu dient die Normseite?“:

  1. Die Dokumentseiten werden in der Textverarbeitungssoftware, mit der der Übersetzer arbeitet, so formatiert, dass maximal 60 Zeichen auf eine Zeile und 30 Zeilen auf eine Seite passen. Die Gesamtzahl der Seiten, die sich auf diese Weise ergibt, gibt den Wert Anzahl der Normseiten vor.
  2. Preis pro Normseite für diese Art von Übersetzung bestimmen (z. B. gemäß dem Normvertrag des VdÜ oder nach eigenem Ermessen)
  3. Anzahl der Normseiten mit dem Preis pro Normseite multiplizieren

Nach Normseiten werden üblicherweise Honorare für Buchübersetzungen (literarische Werke, Sach- und Fachbücher) berechnet.

Methode 4: Abrechnung nach Zeitaufwand

Voraussetzungen   

Gewisse Erfahrung im Übersetzen von Texten/Dokumenten dieser Art oder die Möglichkeit, eigene Übersetzungsgeschwindigkeit vor der Auftragserteilung zu ermitteln. 

Formel        

Anzahl der (geschätzten) zu investierenden oder investierten Stunden mal Preis pro Stunde gleich Honorar für die Übersetzung:

Zeitaufwand x Stundenpreis = Honorar        

Berechnungsweg

  1. Die Anzahl der für die Bearbeitung des Auftrages benötigten Stunden schätzen oder experimentell bestimmen.
  2. Eigenen Preis pro Stunde bestimmen.
  3. Den Zeitaufwand in Stunden mit dem Preis pro Stunde multiplizieren.

Beispiel

Der Text unter „Vorbemerkungen“ ist laut MS Word 211 Wörter lang. Wir nehmen an, dass wir bei dieser Art von Texten ca. 2500 Wörter pro Arbeitstag (8 Stunden) – also 300-320 Wörter pro Stunde übersetzen können. Als Ergebnis bekommen wir also als Richtwert, dass wir maximal 1 Stunde zum Übersetzen der Vorbemerkungen benötigen. Dann nehmen wir an, dass unser Stundensatz bei 60,00 netto liegt. Das Ergebnis: Das Honorar für diese Übersetzung beträgt 60 Euro netto.

Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass ein Übersetzer 2000-3000 Wörter in einem ihm vertrauten Fachgebiet pro Arbeitstag übersetzen kann. Optimalerweise sollte jedoch jeder Übersetzer eigene Geschwindigkeit bei unterschiedlichen Auftragsarten ermitteln, um verlässlichere Schätzung anstellen zu können. Urkundenübersetzern empfehle ich zudem möglichst auch Zeitaufwand pro Urkundenart zu messen, um in Anhängigkeit davon den Preis pro Urkunde festzulegen.

Hinweise und Quellen zur Festlegung eigener Preise

Als angehender Übersetzer weiß man normalerweise nicht, wie hoch Honorare so ausfallen können und „dürfen“, um Kunden nicht abzuschrecken. Eine pauschale quantitative Empfehlung kann ich auch als „alter Hase“ nicht geben: Unsere Honorare hängen von vielen verschiedenen Faktoren ab. Was ich jedoch tun kann, ist, eine qualitative Empfehlung auszusprechen und Hinweise zu geben, wo man Impulse für die eigene Preisbestimmung bekommt. Grundsätzlich sollte jeder Übersetzer und jede Übersetzerin unabhängig davon, ob er/sie am Anfang der Karriere steht oder bereits jahrelange Erfahrung hat, nicht nur kostendeckend, sondern auch ökonomisch und gesundheitlich nachhaltig arbeiten. Das heißt, die Preise für die eigenen Produkte und Dienstleistungen sollten einen anständigen Lebensstandard einer hochqualifizierten Fachkraft erlauben und die Möglichkeit geben, fürs Alter vorzusorgen.

Und auf welchem Niveau diese Preise liegen können, kann man auf folgenden Wegen in Erfahrung bringen:

Und zum Schluss möchte ich noch eine kurze Checkliste zum „Vorgehen bei Preisfestsetzung“ vorschlagen, damit man keinen wichtigen Schritt bei einem überraschenden Telefonat mit dem potenziellen Kunden vergisst😊

Checkliste „Vorgehen bei Preisfestsetzung“

  1. Abrechnungsmethode/Abrechnungseinheit bestimmen
  2. Preis pro Abrechnungseinheit wählen/bestimmen
  3. Gesamtes Dokument in Augenschein nehmen und prüfen, ob es nicht textliche Elemente bzw. Textabschnitte gibt, die nicht elektronisch bearbeitbar sind
  4. Preis nach der gewählten Methode berechnen
  5. Evtl. Aufschläge berücksichtigen
  6. Evtl. Rabatte berücksichtigen
  7. Evtl. Umsatzsteuer draufschlagen
  8. Bruttopreis dem Kunden mitteilen