Übersetzen – nicht anerkennen: Übersetzen von Diplomen und Zeugnissen

Inwieweit dürfen oder sollen wir als Urkundenübersetzer beim Übersetzen von ausländischen Diplomen und Abschlusszeugnissen ins Deutsche Begriffe an die deutschen Berufs- und Schulbezeichnungen anpassen – also eindeutschen, um die Übersetzung dem Leser “verständlicher zu machen”?  Diese Frage wird immer wieder im Kolleginnenkreis und bei meinen Workshops zum Urkundenübersetzen diskutiert. Meine klare Antwort lautet: Die Übersetzung sollte zwar möglichst “deutsch klingen” aber auf keinen Fall Gleichwertigkeit suggerieren. Nun möchte ich erklären, was ich damit meine.

Keine Anerkennung ohne ein Anerkennungsgesetz

Deutschland ist ein starkt formalisiertes Land. Vereinfacht ausgedrückt heißt das: In Deutschland kann etwas nur formal geschehen, wenn es ein Gesetz dafür gibt. Das bedeutet, dass beispielsweise ein russisches Diplom und damit die entsprechende Berufsqualifikation nur dann anerkannt werden kann, wenn es ein Gesetz gibt, nach dem ein entsprechendes Anerkennungsverfahren durchgeführt werden kann. Wenn es kein Gesetz gibt, nach dem beispielsweise ein Psychologiediplom bewertet werden kann, dann kann der Besitzer der Qualifikation auch keine formale Anerkennung erhalten. An dieser Stelle sagen viele fälschlicherweise: Das Diplom wurde nicht anerkannt. Das stimmt nicht. Das Diplom konnte gar nicht bewertet werden, weil es kein Verfahren und keine zuständige Stelle gibt.

Und so ist das auch in Deutschland: Es können hier bei Weitem nicht alle ausländischen Berufsqualifikationen bewertet und damit auch anerkannt werden.

In diesem Kontext muss man aus- und inländische Ausbildungs- und Studienabschlüsse in mehrere Gruppen unterteilen:

Gruppe 1: Hochschulabschlüsse in reglementierten Berufen: Diese ausländischen Abschlüsse können in Deutschland anerkannt werden und müssen anerkannt worden sein, wenn man in diesem Beruf hierzulande arbeiten möchte.
Zu reglementierten Berufen gehören Berufe, deren Ausübung an eine bestimmte Ausbildung und einen formalen Abschluss gebunden ist. Das sind Berufe wie Ärzte, Rechtsanwälte, Bauingenieure, Lehrer usw. (hier eine Liste) – also die Berufe, deren Ausübung mit einem gewissen gesellschaftlichen Einfluss oder Sicherheit verbunden ist.

Gruppe 2: Hochschulabschlüsse in nicht-reglementierten Berufen: Die ausländischen Abschlüsse können in Deutschland nicht bewertet/anerkannt werden. Müssen sie aber auch nicht.
Die meisten Hochschulberufe sind nicht reglementiert. Das sind Qualifikationen wie Betriebswirte, Psychologen, Soziologen, Geografen usw. Besitzer solcher Diplome können ihr Diplom einfach übersetzen lassen und der Bewerbung beilegen, wie jeder deutsche Bewerber dies auch tun würde. Sie benötigen keine Anerkennung, um diesen Beruf in Deutschland auszuüben.

Gruppe 3: Abschlüsse in reglementierten Aus- und Fortbildungsberufen: Für sie gilt dasselbe wie für reglementierte Hoschschulberufe.

Gruppe 4: Abschlüsse in nicht-reglementierten Aus- und Fortbildungsberufen: Sie können – müssen aber nicht – bewertet werden. Ihre Besitzer haben die privilegierte Situation, dass Sie die Wahl haben, ob sie den Abschluss bewerten lassen oder nicht. Grundsätzlich empfiehlt sich natürlich, ein Anerkennungsverfahren zu durchlaufen, um ein “deutsches Papier” zu haben, auf dem steht, ob und welchem deutschen Beruf die ausländische Ausbildung als gleichwertig angesehen werden kann.

Aus der Sicht der Übersetzer sind eigentlich alle Abschlüsse “interessant”, da sie für die Verwendung in Deutschland so oder so übersetzt werden müssen. Nur die Adressaten sind im ersten Moment unterschiedlich: Bei bewertbaren Berufen sind es die sogenannten zuständigen Stellen, die die Anerkennungsverfahren (in Rechtsdeutsch: Gleichwertigkeitsfeststellung) durchführen, und erst im zweiten Schritt die (potentiellen) Arbeitgeber, bei nicht-anerkennbaren Berufen sind es die Arbeitgeber direkt.

Die rechtlichen Grundlagen für die Verfahren sind die Anerkennungsgesetze des Bundes und der Länder. Eine Übersicht findet sich z. B. im BQ-Portal.

Wer ist für die Anerkennung zuständig

Es gibt leider keine zentrale zuständige Stelle, die für alle Anerkennungsverfahren zuständig ist. Vielmehr gibt es unzählige Ansprechpartner, deren Auswahl von Faktoren wie Wohnort, Beruf und Qualifikationsniveau abhängt. Eine gute Auskunft darüber inkl. der Recherchemöglichkeit gibt das Portal anerkennung-in-deutschland.de vom Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn. Zusammenfassend lassen sich folgende zuständige Stellen nennen:

  • Handwerkskammern: zuständig für die Bewertung von ausländischen Aus- und Fortbildungsabschlüssen in Berufen, die in Deutschland dem Handwerk angehören, z. B. Friseure, Tischler.
  • IHK FOSA: zuständig für die Bewertung von ausländischen Aus- und Fortbildungsabschlüssen in Berufen, die in Deutschland zu den IHK-Berufen zählen, z. B. kaufmännische Berufe im Einzelhandel oder Hotelgewerbe.
  • Bezirksregierungen: zuständig z. B. für die Bewertung von Ingenieurabschlüssen.

Im Gegensatz zu der verbreiteten Meinung ist die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, die die anabin-Datenbank betreibt, keine Behörde, die für Anerkennung ausländischer Abschlüsse zuständig ist. Sie erstellt jedoch im Auftrag bzw. auf Anfrage von zuständigen Stellen Gutachten über ausländische Abschlüsse aller Qualifikationsniveaus. Auf Antrag von Privatpersonen erstellt die ZAB auch Zeugnisbewertungen, in denen “eine ausländische Hochschulqualifikation beschrieben und ihre beruflichen und akademischen Verwendungsmöglichkeiten bescheinigt werden”. Daher würde ich ausländischen Akademikern schon empfehlen, sich an die ZAB zu wenden.

Aufgaben des Übersetzers im Anerkennungsverfahren

Abgeleitet aus unseren Rechten und Pflichten als ermächtigte Übersetzer/innen und aus den Anerkennungsgesetzen lässt sich also zusammenfassend Folgendes bezüglich unseres Spielraums bei der Übersetzung von ausländischen Abschüssen sagen:

Die Aufgabe des Übersetzers beim Übersetzen von Urkunden besteht im Allgemeinen darin, die fremdsprachige Urkunde richtig und vollständig in die Zielsprache zu übertragen. Das heißt beispielsweise, dass wenn die Berufsbezeichnung aus dem Diplom von 1983 veraltet klingt, dann macht es nichts, wenn auch die Übersetzung dies tut.

Wir sollten als Übersetzer die ausländischen Diplome so übersetzen, dass der Leser versteht, worum es geht und selbst seine Schlüsse daraus ziehen kann. Die Übersetzung ist eine Lesehilfe für die ausländische Urkunde, sie ist keine Urkunde!

Für alle Bezeichnungen (Schulen, Berufe usw.) sollten zwar möglichst deutsche
Bezeichnungen gefunden werden, ABER die schnell erreichbaren Grenzen der
Übertragbarkeit der inhaltlichen Bedeutung sollten unbedingt beachtet werden. Ein gutes Beispiel für einen falschen Übersetzerfreund ist das russische Wort диплом, mit dem alle beruflichen Abschlüsse unabhängig von ihrem Qualifikationsniveau überschrieben sind, wie диплом бакалавра oder диплом о среднем профессиональном образовании. Da man im Deutschen aber nur ein Hochschuldiplom als Diplom bezeichnet, würde ich empfehlen, das auch bei der Übersetzung so zu handhaben: Diplom für диплом бакалавра und Abschlusszeugnis für диплом о среднем профессиональном образовании.

Man sollte auch auf Konsistenz der Begriffsverwendung achten: Wenn es um ein Hochschuldiplom geht und man das Wort Diplom verwendet, dann sollte an den entsprechenden Stellen auch Studium stehen. Beispiel:  период обучения heißt beim Hochschulstudium Studiendauer, bei einer Berufsausbildung Ausbildungsdauer.

Das Notensystem sollte auf keinen Fall ins deutsche System umgerechnet werden! Bei Notwendigkeit sollte man allerdings beispielsweise in der Fußnote erklären, was sich hinter den ausländischen Noten verbirgt. Dafür haben wir ja als Übersetzer den Freiheit, die Anmerkungen des Übersetzers zu verwenden. Diese sind natürlich auch bei Urkundenübersetzungen nicht nur erlaubt sondern auch sehr oft geboten!

Gute Quellen zum Thema Anerkennung nicht nur für Übersetzer

BQ-Portal – das Informationsportal für ausländische Berufsqualifikationen
Anerkennung in Deutschland
Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen
Bundesministerium für Bildung und Forschung