Übersetzer, die nur noch vor dem Bildschirm sitzen und übersetzen, sind immer seltener anzutreffen. Sei es getrieben von persönlichen Interessen oder durch die Notwendigkeit der Diversifizierung als Marketingstrategie bieten immer mehr Kolleginnen und Kollegen neben dem eigentlichen Übersetzen weitere Dienstleistungen an. Eine davon ist das Unterrichten. An meinem eigenen Bespiel berichte ich an dieser Stelle, warum man das macht und in welchen Bereichen und Formen dies möglich ist.
Dieser Artikel von mir ist in einer etwas längeren Fassung im Mitgliedermagazin des BDÜ NRW info NRW (Ausgabe 1/2017) nachzulesen.
Was man alles unterrichten könnte
Erstens unterrichte ich an der RussischSchule, deren Inhaberin und Leiterin ich bis vor Kurzem war: Die Schule bereitet in einem zweijährigen Kurs auf die Fortbildungsprüfung „Übersetzer Russisch/Deutsch“ an der IHK Düsseldorf vor. Der Kurs ist ziemlich formalisiert und standardisiert: Es gibt 6 Übersetzungsfächer, in denen Muttersprachler die jeweilige Übersetzungsrichtung unterrichten (Rechts-, Politik- und Wirtschaftsübersetzung ins Russische oder ins Deutsche) und das Essaytraining. Im Rahmen der Übersetzerkurse führe ich Seminare zur Politik- und teilweise Wirtschaftsübersetzung ins Deutsche sowie weiteren für Übersetzer interessanten Themen wie Stegreifübersetzen oder CAT-Tools durch.
Zweitens biete ich eintägige Workshops bzw. Seminare für Übersetzer/innen an. Da handelt es sich meist um Workshops für das Sprachenpaar Russisch-Deutsch und Themen, die meinem Eindruck nach auf dem (Russisch-Deutsch-) Übersetzungsmarkt von Bedeutung sind. Beispielsweise bot ich schon mehrfach den Workshop „Urkundenübersetzen Russisch <> Deutsch“ an. Es gab auch schon einen Workshop zum Thema „Übersetzen von russischen Diplomen und Grundsätze der Anerkennungspraxis für Übersetzer“, dessen Inhalte zum Teil in meinen Blogartikel zum entsprechenden Thema eingeflossen sind. Auch Seminare zu Translation-Management-Systemen sind gefragt.
Drittens biete ich Einzel-Übersetzertrainings für angehende oder bereits praktizierende Übersetzer/innen an, die sich fachlich oder unternehmerisch fortbilden möchten. Zu meinen „Trainees“ gehören unter anderem eine Übersetzerin, die bereits in einer Übersetzungsagentur angestellt ist, aber bestimmte Fachbereiche und die deutsche Grammatik bzw. Rechtschreibung weiter trainieren möchte, und eine IHK-Prüfungskandidatin, die bereits sehr, sehr gute Sprachkenntnisse hat, bisher aber nur religiöse Literatur übersetzte und sich nun auf die IHK-Prüfung vorbereiten möchte.
Und viertens setze ich einen Teil meiner pädagogischen Ambitionen hier – in meinem „Blog für angehende Übersetzer/innen“ um. Hier habe ich die Gelegenheit, in kleinen „Bildungsbotschaften“ relativ ausführlich auf einzelne Themen einzugehen und eine größere Leserschaft als an der Schule zu erreichen. Denn nicht zuletzt besteht mein Ziel beim Unterrichten darin, unseren Status als Berufsgruppe zu verteidigen und unser Ansehen als Spezialist/innen nicht nur in sprachlicher Hinsicht zu steigern. Das funktioniert aber nur, wenn wir dieses Fachwissen auch vorweisen können und in unseren Fachgebieten fachmännisch argumentieren können. Im Blog stelle ich mein Spezialwissen in bestimmten Bereichen allen, die es haben wollen, zur Verfügung.
Eine besondere Herausforderung und ein besonderes Vergnügen beim Unterrichten ist für mich die Entwicklung neuer Unterrichtseinheiten, sei es für den Gruppen- oder Einzelunterricht. Große Hilfe sind mir dabei die Kursteilnehmerinnen und meine Beteiligung an Facebook-Gruppen: An gestellten Fragen erkenne ich häufig, in welchen Bereichen noch Informationsdefizit oder auch falsche Überzeugungen herrschen. Daraus entwickeln sich bei mir Unterrichts-, Seminar- oder Blogpostideen.
Was mich am Unterrichten reizt
Es gibt viele Gründe, die die pädagogische Tätigkeit im Übersetzungsbereich für mich so spannend machen:
Erstens habe ich auf diese Weise die Möglichkeit, immer wieder neue aufregende Texte und Textsorten zu übersetzen, die mir bei Aufträgen eventuell gar nicht oder jedenfalls nicht häufig unterkommen. Ich kann sie ja selbst aussuchen! 😉 Und ich lerne regelmäßig neue interessante Menschen kennen, die sich im optimalen Fall genauso für das Übersetzen begeistern wie ich.
Zweitens entwickle ich unglaublich gerne neue Übersetzungsübungen, von denen ich glaube, dass sie meine „Trainees“ effektiver weiterbringen. Jedes Mal, wenn ich eine spannende Idee habe, bin ich zusätzlich motiviert und empfinde ein erhebendes Gefühl.
Drittens sammle ich durch die immer wieder auftretenden ganz neuartigen Herausforderungen aufgrund von neuen Textsorten und Trainees mit ihren individuellen und manchmal unerwarteten Problembereichen besondere Erfahrungen. Denn es reicht meistens nicht, einfach nur Fehler zu korrigieren, ich muss auch begründen können, wie welche Sprache in diesem konkreten Fall „funktioniert“ und warum man etwas auf eine bestimmte Art und Weise nicht ausdrücken kann.
And last but not least kann ich so das weitergeben, was ich selbst kann. Im Prinzip gehören meines Erachtens für jeden Lehrer oder Dozenten ein bisschen Geltungsdrang und der Wunsch dazu, im Rampenlicht zu stehen. Zudem war schon meine Oma Grundschullehrerin und Leiterin eines Kinderheims, und ich „musste“ ja außerdem Wirtschaftspädagogik studieren. Ob das nun genetisch oder durch Lebensumstände bedingt war, fand ich mich irgendwann in der Position der Inhaberin und Leiterin der RussischSchule wieder und bekam dadurch einen Anstoß, eine Bühne und eine Chance, größere Unterrichtskonzepte umzusetzen und diese nun zu individualisieren und zu differenzieren.
Warum Unterrichten auch für andere Übersetzer interessant sein kann
Diversifizierung heißt das Stichwort, das das Auseinandersetzen mit diesem Gedanken für mich sinnvoll macht (neben den eher persönlichen Gründen, die ich oben anführte). Damit meine ich eine Ausweitung der Dienstleistungs- bzw. Produktpalette. Den eigenen beruflichen Erfolg – ob das nun die Selbstständigkeit oder die Anstellung ist – auf mehreren Standbeinen zu gründen, ist einfach sinnvoller. Wir wollen uns ja auch nicht an nur einen Auftraggeber binden: Wenn dieser wegbricht, stehen wir nicht sehr gut da. Wenn man also als Übersetzerin weitere Qualifikationen hat, sollte man sie auch gewinnbringend einsetzen. Damit entwickelt man sich nicht nur weiter, sondern stabilisiert auch das Einkommen. Quereinsteiger haben da meiner Meinung nach einen großen Vorteil, aber auch studierte Übersetzer/innen, die ohne große Umwege zu ihrem Traumberuf fanden, sollten sich meines Erachtens wenigstens alle paar Jahre fragen: Wie kann ich mein Angebot ausweiten, vertiefen oder neu justieren. Schaden können eine Bestandsaufnahme und frischer Wind nicht!